Die Geschichte von Carolinensiel und Harlsiel
um 1500
Wo heute Carolinensiel liegt, befand sich noch vor wenigen Jahrhunderten ein Ausläufer der Nordsee. Die Harlebucht erstreckte sich zwischen dem heutigen Neuharlingersiel und Minsen bis kurz vor Funnix und Werdum. Um 1500 begann man mit der systematischen Landgewinnung durch Eindeichung. Stück für Stück wurde der Nordsee neues, fruchtbares Marschland abgerungen.
Zur Vermeidung von Konflikten um das neue Land einigten sich im Jahr 1666 Fürstin Christine Charlotte von Ostfriesland und der Herr von Jever, Graf Anton Günther von Oldenburg, auf die zukünftige Grenze. Vom Treffpunkt der ostfriesischen und jeverschen Deiche am Pfahldeich südöstlich von Carolinensiel zog man auf der Seekarte mit goldener Tinte eine Linie bis zu einem Punkt genau zwischen den Inseln Spiekeroog und Wangerooge. Die "Goldene Linie" ist heute noch die Grenze zwischen dem ostfriesischen Landkreis Wittmund und dem Landkreis Friesland. Die alte Bahnlinie der ehemaligen Jever-Carolinensieler Eisenbahn nach Harlesiel und der Fähranleger nach Wangerooge liegen schon auf friesischem Gebiet. Die Grenze verläuft mitten durch das Hafenbecken.
Die Geburtsstunde von Carolinensiel
Im Jahr 1729 wurde die Eindeichung des Carolinengroden abgeschlossen. Wo die Harle auf den Deich traf, wurde ein Sielhafen angelegt, der heutige Museumshafen. Durch das Siel unter der Brücke konnte das Binnenwasser bei Ebbe ins Meer abfließen. Am 16. März 1730 vergab Fürst Georg Albrecht von Ostfriesland die ersten Grundstücke rund um den Hafen an die Neusiedler. Dies war die Geburtsstunde von Carolinensiel. Namensgeberin war die Gemahlin des Fürsten, Sophie Caroline aus dem Haus Brandenburg-Kulmbach. Ihr machte der Fürst die Domäne Fürstinnen-Grashaus im Carolinengroden zum Geschenk. Sophie Caroline starb im Jahre 1764.
Carolinensiel wächst und gedeiht
In wenigen Jahrzehnten wuchs Carolinensiel zum zweitwichtigsten Hafen nach Emden heran! Es gibt wohl mehrere Gründe hierfür, die alle zusammen zu dem damaligen "Cliner Wirtschaftswunder" führten, und mit denen etlichen anderen, viel älteren Küstenorten der Rang abgelaufen wurde. Da war einmal das besondere Wohlwollen des Fürsten Georg Albrecht für sein Lieblingskind, welches durch verschiedene Privilegien für die Ansiedler und durch den für derzeitige Verhältnisse großzügigen Ausbau des Hafens zum Ausdruck kam. Der Hafen galt als geräumig und sicher, selbst größere Seeschiffe konnten ihn anlaufen.

Die günstige Lage des Sielortes ist ein weiterer Grund: Die Harle war bis zu zwei Meilen landeinwärts schiffbar, wodurch sich Carolinensiel infolge der katastrophalen Landverbindungen geradezu als Umschlagsplatz der eingeführten Versorgungsgüter für die Ortschaften der Marsch und der Geestrandstädte anbot. Umgekehrt sammelten sich hier die überschüssigen landwirtschaftlichen Produkte und Erzeugnisse wie Getreide, Raps, Bohnen, Käse und Butter des fruchtbaren Marschenlandes, die auf dem Seeweg nach Holland, England und zu den Hansestädten gingen.

Trotz dieser günstigen Voraussetzungen muss man in erster Linie die Menschen hier als Wegbereiter des Aufstiegs hervorheben. Wir dürfen sie getrost die Pioniere Carolinensiels nennen, jene ersten Ansiedler, die voller Hoffnung in ein Niemandsland kamen. Wohlbewusst, dass hier nicht das Paradies auf sie wartete, sondern harte und ausdauernde Arbeit. Es waren Friesen von echtem Schrot und Korn, denen seit Generationen der Kampf mit den Naturgewalten bereits in die Wiege gelegt wurde. Sie nutzten die sich hier bietende Chance und setzten mit Fleiß, Wagemut und friesischer Beharrlichkeit den Grundstein für den Aufschwung.
Harlesiel entsteht
1765 wurde dann unter "Friedrich dem Großen" die Friedrichsschleuse erbaut. Warum "Schleuse" und nicht "Siel"? Eine gute Frage, denn vorher wurden nach der etappenweisen Rückgewinnung der Harlebucht stets Siele mit eigenem Hafen errichtet, welche die jeweils landeinwärts liegenden Orte von der Küste abdrängen und damit weitgehend ihrer Funktion beraubten. Dieses Schicksal drohte auch dem jungen, aufstrebenden Hafen Carolinensiel. Die Kaufleute und Schiffer machten jedoch ihren ungewöhnlich großen Einfluss geltend und erreichten schließlich, dass in Friedrichsschleuse ein offenes Siel gebaut wurde, das die Durchfahrt von Seeschiffen mit Masten und Aufbauten erlaubte. Die Carolinensieler konnten hiermit ganz nebenbei noch einen weiteren Vorteil gegenüber den anderen Hafenorten verbuchen: Ihr Hafen war künftig vor Sturmfluten und Hochwasser absolut gesichert. Die Friedrichsschleuse wurde mit einer hölzernen Zugbrücke ausgestattet.

Die kleine Siedlung an der Schleuse erlangte nie die Bedeutung und Größe anderer Sielorte, sie blieb stets ein Ausleger Carolinensiels. Außer einem Hotel (früher Fischerkneipe) einem Krämerladen, der Hafenmeisterei und Granatdarren gab es nur die Fischerhäuser. Wie der Chronist vermeldet, übte man hier an der Küste die Fischerei in früheren Zeiten unter primitiven Verhältnissen vorwiegend als Nebenerwerb aus. Der Niedergang der Seeschiffahrt zwang dann manchen Schiffer, in der Fischerei eine neue Existenzmöglichkeit zu suchen. Die Hoffnung, in der Hochseefischerei mit Segelloggern ausreichendes Einkommen zu finden, ging nicht in Erfüllung, so dass als letzter Ausweg der Krabbenfang an der Küste verblieb. Aber auch diese Art der Fischerei mit Schaluppen erwies sich als wenig rentabel. Erst nach Umrüstung auf Motorboote nach der letzten Jahrhundertwende zeichneten sich bessere Bedingungen ab.
Der Hafen von Friedrichsschleuse verlor seine Funktion, als 1956 das Harlesiel fertiggestellt war und die Fischerflotte dort neue Liegeplätze erhielt, und die meisten Fischerfamilien später in die neue Siedlung überwechselten. Den Anstoß für diese Maßnahme gab die große Sturmflut 1953, als die alte Schleuse mit ihrer Zugbrücke arg in Mitleidenschaft gezogen wurde und das Hinterland nur noch so eben einer Flutkatastrophe entkam. Vor allem die damaligen großen Verluste und Schäden in Holland rüttelten Staat und Verbände wach und man entschloss sich zu verstärkten, aus den neuesten Erkenntnissen resultierenden Sicherungsvorkehrungen an der gesamten Küste.
In dreijähriger Bauzeit wurde das neue Harlesiel, das vorerst letzte Bollwerk gegen das Meer, förmlich -aus dem Wasser gestampft-. Dort, wo bis dahin nur primitive Umschlagsanlagen für den Schiffsverkehr zu den Inseln bestanden, welche man nur auf den Schienen der DB erreichen konnte, entstanden in großzügiger Bauweise Siel und Schöpfwerk, Hafenbecken mit Kajen für den Personen- und Gütertransport sowie für den Fischereibetrieb. Weiter wurden ein großes Binnentief-Sammelbecken und schließlich auch Parkplätze und Garagenanlagen geschaffen. Die Bundesbahn baute ein komplettes Bahnhofsgebäude für ihren Umschlag nach Wangerooge. Die Route Harle-Wangerooge und zurück ist übrigens die einzige Verbindung in der Bundesrepublik auf der sich die Bundesbahn mit eigenen Bäderdampfern aufs Wasser begibt. Bahnhof und Gleisanlagen der Insel gehören ebenfalls der Bundesbahn.
Die letzte Entwicklung
Die Fertigstellung des Gesamtkonzepts Harlesiel muss als Beginn einer neuen Epoche in der Entwicklung Carolinensiels festgehalten werden. Weitblickende Männer und Frauen des Sielhafenortes erkannten die Chancen, die sich hier draußen für den Fremdenverkehr boten. Anfangs von vielen belächelt, wagten sie den Sprung ins ,,Niemandsland". Sie gründeten zunächst einmal einen Bade- und Verkehrsverein. Sollte diesem Bemühen dasselbe Schicksal zuteil werden wie das um die Jahrhundertwende als die ersten Versuche nicht den gewünschten Erfolg hatten? Nein, diesmal wurden selbst optimistische Prognosen noch übertroffen.
In enger Zusammenarbeit mit der damaligen Gemeinde Carolinensiel und mit Unterstützung der Behörden gelang es in wenigen Jahren, Carolinensiel/Harlesiel zu einem bedeutenden Küstenbadeort auszubauen. Zahlreiche Privatpensionen, Hotels und Gaststätten stellten sich schnell auf die Erfordernisse des Fremdenverkehrs ein und profitierten in zunehmendem Maße neben Handel, Handwerk und Gewerbe von der "weißen Industrie".